Inspiration ist (fast) alles!

Inspiration ist (fast) alles!

 

 

Legendär ist die Szene in Goethes Faust, als jener im Studierzimmer sitzt und sinniert: „Im Anfang war das Wort! Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort?“. So – oder so ähnlich – ergeht es vielen Scribus-Anwendern bei der Suche nach der einen zündenden Idee. Mit den richtigen Tipps werden Inspiration und kreativer Output zum Kinderspiel. 

Grafikdesign lebt von kreativen Ideen. Von der besonderen Gestaltung von Botschaften, die auf eine möglichst breite Resonanz zielen. Doch der „gemeine“ Designer fragt sich, woher die Inspiration für herausragende Entwürfe kommt. Er fragt sich weiter, wie er diese Potenziale selbst erschließen kann.

Wirft man einen Blick in die etablierte Literatur, stellt man fest, dass dort die stets gleichbleibenden Gestaltungselemente und -prinzipien diskutiert werden. Mit den Elementen bestimmst du, was du gestaltest, mit den Prinzipien, wie du die Elemente anordnest, um ein harmonisches oder auch spannungsgeladenes Ergebnis zu erzielen. Anhand eines Beispiels werden die Zusammenhänge deutlicher. Ein gutes Plakat zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

  1. Farbe und Kontrast dienen dazu, Aufmerksamkeit zu erzeugen.
  2. Typografie dient dazu, Informationen zu transportieren.
  3. Mithilfe von Hierarchien hebst du Wichtiges hervor, weniger Wichtiges rückt in den Hintergrund.
  4. Bzgl. des Gestaltungsraums ist darauf zu achten, dass dieser nicht zu überladen wirkt.

 

Grundsätzlich entstehen kreative Ideen aus einer Mischung aus Inspiration, Wissen, Erfahrung und gezielter Recherche nach möglichen Gestaltungshinweisen. Die Wirkung eines Designs wird maßgeblich von der Zielgruppe, dem Wettbewerb und der Markenidentität bestimmt. Dabei bedienen sich Designer aus unterschiedlichen, oft scheinbar unerwarteten Quellen: Natur, Architektur, Mode, Film, Streetart und Fotografie. Eine der wichtigsten Quellen sind Alltagsbeobachtungen; so kann etwas die Typografie von Werbung oder Straßenschildern als Inspirationsquelle dienen.

Weiterhin ist ein Blick in die Designgeschichte und aktuelle Trends sinnvoll. So können beispielsweise Designstile vergangener Jahrzehnte wie Bauhaus oder Postmoderne, aber auch aktuelle Designtrends wie Bold-Minimalismus oder Anti-Design den Anstoß zur Entwicklung von Ideen geben.

 

Was ist schön?

Doch bevor wir uns der Frage nähern, wie man diese unterschiedlichen Quellen nutzt und wie berühmte Künstler sich dieser bedient haben, ist die Frage zu beantworten, was denn eigentlich ein gutes Design ausmacht und ob es möglich allgemeingültige Bausteine gibt, die Schönes und Besonders auszeichnen.

Die Design- und Schönheitsforschung steuern zur Beantwortung dieser Fragen verschiedene Erkenntnisse bei. So ist Schönheit zwar subjektiv, aber nicht beliebig. Jeder kennt den Satz: Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Doch diese Vereinfachung zugreift zu kurz. Evolutionspsychologische Ansätze zeigen, dass viele Menschen bestimmte Formen, Farben oder Proportionen ähnlich schön empfinden. So wird unter anderem Symmetrie mit Gesundheit in Verbindung gebracht (Ruck 2014).

Die sogenannte Processing Fluency Theory, die primär auf die Arbeiten von Rolf Reber, Norbert Schwarz und Piotr Winkielman zurückgeht, lehrt, dass die Verarbeitungserleichterung (Fluency) Schönheit generiert. Anders formuliert: Dinge, die leicht zu verarbeiten sind (visuell, sprachlich, kognitiv), werden als schöner, vertrauenswürdiger und wahrer empfunden. Sinngemäß können die Forschungen von Reber et al. (2004) wie folgt zusammengefasst werden: Wenn etwas leicht zu verarbeiten ist, fühlt es sich gut an – und was sich gut anfühlt, wird als schön, wahr und sogar moralisch richtig beurteilt. In Bezug auf Grafikdesign zeigen Studien, dass leicht lesbare Schriftarten, einfache Formen oder vertraute Strukturen als schöner bewertet werden als komplexe oder schwer zugängliche.

Reber et al. (2004, S. 366) gelangen zu folgender Erkenntnis: Reize, die leichter verarbeitet werden können, werden in einer Vielzahl von Dimensionen positiver bewertet, darunter Wahrheitsgehalt, Bekanntheitsgrad, Sympathie und sogar Moral. Als populärwissenschaftliche Paraphrase kann der Theorie wie folgt zusammengefasst werden: Wenn etwas leicht zu verarbeiten ist, fühlt es sich gut an – und was sich gut anfühlt, wird als schön, wahr und sogar moralisch richtig beurteilt. Mithin ist kognitive Leichtigkeit als Quelle ästhetischen Gefallens zu interpretieren.



Implikationen für das (Grafik-)Design

Für die Gestaltungspraxis – sei es in Grafik- oder Produktdesign bzgl. bei der Gestaltung digitaler Benutzeroberfläche – ergeben sich aus diesen Erkenntnissen verschiedene Konsequenzen. Ein ästhetisch ansprechendes Design ist oft eines, das kognitiv wenig Reibung erzeugt. Klare Linien, einfache Formen, hohe Lesbarkeit, vertraute Layouts: All dies erhöht die Verarbeitungsgeschwindigkeit und wird als angenehm empfunden. Damit beeinflusst die Theorie nicht nur die Ästhetik, sondern auch Usability, Vertrauen und Entscheidungsverhalten.

In diesem Kontext passt der legendäre Designleitsatz von Dieter Rams (1985): „Gutes Design ist so wenig Design wie möglich“. Rams zeichnet sich für viele Braun-Produkte und deren Gestaltung verantwortlich. Die Braun-Wandanlage zählt zu den begehrtesten HiFi-Anlagen aus den 60er Jahren (Braunaudio 2025). Rams Perspektive hat bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt – im Gegenteil. Sie kann neu interpretiert werden: Weniger Design bedeutet oft mehr kognitive Leichtigkeit und damit auch mehr Schönheit im Sinne von Schwarz.

Ein besonders bemerkenswerter Aspekt der Schwarzschen Forschung ist die Übertragung der ästhetischen Wirkung auf andere Urteilsdimensionen. Leicht verarbeitbare Aussagen erscheinen nicht nur schöner, sondern auch wahrer – ein Phänomen, das z. B. im Marketing oder in der politischen Kommunikation genutzt (oder missbraucht) werden kann. Ebenso zeigen Studien, dass Aussagen oder Gesichter, die leichter zu erkennen oder zu lesen sind, als moralischer oder vertrauenswürdiger eingeschätzt werden. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Wahrnehmung, Emotion und Ethik – und machen deutlich, wie weitreichend die psychologische Dimension von Schönheit sein kann.

Doch trotz aller Eleganz des Modells ist Vorsicht geboten. Schönheit ist nicht vollständig durch kognitive Leichtigkeit erklärbar. Viele Kunstformen – etwa abstrakte Malerei oder komplexe Musik – wirken gerade durch Irritation oder kognitive Herausforderung. Außerdem ist Verarbeitungserleichterung oft kulturell geprägt: Was für einen westlichen Betrachter vertraut und leicht zugänglich erscheint, kann für andere kulturell fremd und damit schwerer verarbeitbar sein.



Inspirationsquellen

Folgt man der These, dass kognitive Leichtigkeit deine grafischen Arbeiten bestimmen sollte, um als schön und wahr akzeptiert zu werden, ist die Frage noch unbeantwortet, wie entsprechende Designkonzepte in der Praxis aussehen könnten. Die Historie ist voller mehr oder minder bekannten Geschichten über die Suche nach Inspiration. Van Gogh wird das Zitat zugeschrieben, dass er „so gerne schöne Dinge schaffen [möchte]. Aber schöne Dinge erfordern Mühe – und Enttäuschung“. Wie die Beatles-Dokumentation „Get Back“ zeigt, ist Inspiration häufig durch Zufall, Geduld und Ausdauer geprägt – kein Mythos, sondern ein Moment des Loslassens.

Von David Bowie sagt man, dass Inspiration von Selbsttransformation erzählt: aus Krise wird Kunst. Doch gerade das Beispiel Bowie zeigt, dass Inspiration sich insbesondere bereits Bestehendem bedient. Bowie wird folgendes Zitat zugeschrieben: „The only art I’ll ever study is stuff that I can steal from“ (zitiert in Kleon 2012, S. 6). Entsprechende Belege sind in Bowies Schaffen einfach zu finden. Jeder kennt seinen Welthit „Heroes“. Bowie lernte in seiner Berliner Zeit die Düsseldorfer Band Neu! kennen. Deren gleichnamiger Song hat Bowie offenbar stark beeinflusst – die Parallelen sind unüberhörbar.

Doch zurück zum Grafikdesign. Auch die berühmtesten Grafikdesigner lassen sich bei ihren Arbeiten von bestehenden Entwürfen beeinflussen. Paula Scher gilt als eine der weltweit renommiertesten Grafikdesignern. In der Netflix-Dokumentation „The Art of Design“ gewährt sie Einblicke in ihr Schaffen (Netflix 2017). Darin berichtet sie von ihrem ersten Projekt: Sie sollte dem New Yorker Theater „The Public Theater“ zu einer neue Identität verhelfen. In einem ihrer Lieblingsbücher „American Wood Type. 1828-1900“ findet Scher Anregungen: Eine Aneinanderreihung des Buchstaben R in verschiedenen Breiten inspirierte sie zu einer Adaption. In dem Film wird auch deutlich, dass Scher ein ganzes Archiv mit möglichen Inspirationsquellen aufgebaut hat. So einfach ist es manchmal.

 

 

So einfach kann es sein … eine geeignet Quelle animiert zu neuen Gestaltungsformen.


Soweit müssen Gelegenheitsdesigner natürlich nicht gehen. Dennoch lohnt es sich auch für sie, sich ein kleines, aber feines Archiv anzulegen. Dabei würde ich mich allerdings weniger auf weitverbreitete Ratgeber und Einführungen stützen, denn deren Empfehlungen beziehen sich auf die identischen Aspekte. Einzig das Buch „Graphic design: the new basics“ von Lupton und Phillips sticht aus der Masse wenig inspirierender Durchschnittsliteratur heraus. Die Kernaussage: denke und entscheide visuell, statt dich auf technische Aspekte und Werkzeuge wie Grids & Co. zu konzentrieren.

Dem Beispiel Schers folgend möchte ich hier zwei weitere Bücher empfehlen. Müller entfacht mit seinem Buch „The History of Graphic Design“ ein wahres Feuerwerk und stellt herausragende Entwürfe von 1890 bis heute vor.

Eine weitere Empfehlung und eine wahre Fundgrube für die Suche nach möglichen Gestaltungsformen ist der Titel „The Art of looking sideways!“ von Alan Fletcher. Leider ist das Buch vergriffen, aber im Internet mit etwas Glück für wenige Euros in einem guten Zustand erwerbbar. Das Credo von Fletcher: Kreativität entsteht durch Neugier, Perspektivwechsel und spielerisches Denken. Sein Buch ist kein Fachbuch, sondern ein visueller Denkraum, eine bunte Sammlung von Beobachtungen, Bildern und Widersprüchen. Fletcher rät dem ambitionierten Grafikdesigner, die Perspektiven zu wechseln. Statt von vorn, sollte man von der Seite, von darüber oder darunter schauen. Dort passiert das Unerwartete.

 

  Fletchers Buch ist eine Fundgrube für alle, die Anregungen für eigene Projekte suchen.

 

Vielleicht noch einen letzten Tipp: Als Twin-Peaks-Fan habe ich natürlich auch das 2007 erschienene Buch „Catching the Big Fish: Meditation, Consciousness, and Creativity“ von David Lynch verschlungen. Auch wenn Lynch verschiedentlich auf die Quantenfeldtheorie anspielt, sein Verständnis allerdings durch einige physikalische Missverständnisse gekennzeichnet ist, hat er einen unschätzbaren Rat parat: „Take a notebook with you wherever you go. If you get an idea, write it down. If you don’t, it could be gone forever. That idea is like a fish – once it’s gone, it’s gone.“

Was auf den ersten Blick trivial erscheint, entpuppt sich in der Praxis als spannendes Instrument. Nach meinen Erfahrungen macht es Sinn, Gedankenblitze zu notieren. Sie kommen dort, wo man sie nicht erwartet. Und sie erweisen sich bei der Suche nach neuen Ideen als wertvolle Inspirationsquelle. Ob du dir tatsächlich ein oder mehrere Nutzbücher zulegst oder deine Ideen in den Audiorecorder deines Smartphones sprichst, ist letztlich gleich. Wichtig ist nur, dass zumindest testest, ob dieser Weg auch für dich geeignet ist.

 

 

Fassen wir zusammen

Kreative Ideen sind die Grundlage erfolgreichen Grafikdesigns – sie entstehen durch Inspiration, Erfahrung, Wissen und gezielte Beobachtung. Design lebt von der Gestaltung klarer, wirkungsvoller Botschaften und basiert auf bekannten Elementen und Prinzipien wie Farbe, Typografie, Hierarchie und Raumaufteilung.

Doch damit dein Projekt etwas Besonders wird, bedarf es der Inspiration. Und die ist kein Zufall, sondern eine Frage der Haltung und Aufmerksamkeit. Kreativität entsteht durch Neugier, Perspektivwechsel und das bewusste Sammeln von Eindrücken – nicht durch das Festhalten an Regeln oder Tools. In diesem Sinne wünsche ich dir viel Vergnügen auf der weiteren Erkundungsreise durch die Welt des Grafikdesigns mit Scribus.



Quellen

Braunaudio (2025).braun klassiker aus den 60er jahren. Online: https://braunaudio.de/.

Fletcher, A. (2001). The art of looking sideways. Phaidon Press, London.

Kleon, A. (2012). Steal like an artist: 10 things nobody told you about being creative. Hachette UK.

Lupton, E., & Phillips, J. C. (2015). Graphic design: the new basics (revised and expanded). Chronicle Books.

Lynch, D. (2007). Catching the Big Fish - Meditation, Consciousness, and Creativity. Penguin Publishing Group, New York.

Müller, J. (2022). The History of Graphic Design. 45th Ed.: Mehrsprachige Ausgabe. Taschen Verlag, Köln.

Netflix (2017). The Art of Design | Paula Scher: Graphic Design. Online: https://www.youtube.com/watch?v=LCfBYE97rFk.

Rams, D. (1985). Ten Principles of Good Design.

Rams, D. (2011). As little design as possible. Phaidon Press, London.

Reber, R., Schwarz, N., & Winkielman, P. (2004). Processing fluency and aesthetic pleasure: Is beauty in the perceiver’s processing experience? Personality and Social Psychology Review, 8(4), 364–382.

Ruck, N. (2014). Schönheit als Zeugnis: Evolutionspsychologische Schönheitsforschung und Geschlechterungleichheit. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg. 

 

 

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